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Name: Marianne ("Hannelore") Dickehut



Geburtsdatum: 12.08.1920
Geburtsort: Lüdenscheid
Sterbedatum: 15.09.1943
Sterbeort: Hadamar




Hochstr. 37

Als "gute Schülerin" ging sie, im Anschluss an die Volksschule, in den Jahren 1930-1935 auf das Mädchenlyzeum Lüdenscheid.
Sie lernte anschließend den Beruf der Stenographin und wurde in einem Lüdenscheider Unternehmen angestellt.

1939 wurde sie, vermutlich an einer Hasenscharte, operativ behandelt. Hierbei kam es vermutlich zu Komplikationen. In diesem Jahr begann der Zweite Weltkrieg. Marianne bekam wegen des Ausbruchs des Krieges schwere Angstzustände und Selbstmordgedanken.

1940 wurde sie daher zur Behandlung in das Landeskrankenhaus Warstein eingewiesen.
Dort wurde, mit Datum vom 27.02.1940, in ihre Krankenakte eingetragen:

"Erzählte heute Mittag spontan: "In der Nacht war es fürchterlich, es war der Teufel, ich habe ihn nicht gesehen, aber die fürchterlichen Stimmen (gehört) – dann kam der Tod, der über mich wehte, der hauchte mich an"."
Marianne wurde Ende Februar 1940 einer Pyrifer-Kur unterzogen, welche ihre Angstzustände besserte, so dass sie am 9. Mai 1940 entlassen werden konnte.
Das Erbgesundheitsgericht Arnsberg stellte im Sommer 1941 fest:
"Die Bürogehilfin Marianne D. aus Lüdenscheid, zur Zeit in der Provinzialheilanstalt in Warstein ... leidet an Schizophrenie; sie ist somit erbkrank und gemäß §1 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 unfruchtbar zu machen. ...
Die Betroffene ist selbst gegen den Antrag...
Marianne D. war bis Herbst 1939 unauffällig, dann trat plötzlich eine Wesensveränderung bei ihr ein. Sie wurde unruhig und misstrauisch, sah ‚fremde Augen’, bekannte Personen mit veränderter Gestalt und den Teufel. Die Gestalten schlugen sie und versuchten, sie zu vergiften. Stimmen sprachen zu ihr und sagten ihr, was sie tun solle. All das machte am 15.Februar 1940 ihre Aufnahme in die Provinzialheilanstalt Warstein notwendig. ...
Nach Durchführung einer Ende Februar 1940 einsetzenden Pyrifer-Kur trat seit Anfang April 1940 bald Besserung ein, die anhielt und am 9. Mai 1940 ihre Entlassung ermöglichte. ...
Ende Dezember 1940 wurde Marianne D. dann wieder auffällig. Sie arbeitete nicht mehr, blieb dauernd zu Bett liegen, hatte akustische und optische Sinnestäuschungen und äußerte Wahnideen. ...
Am 21. April d.J. wurde deshalb die zweite Einweisung in die Prov. Heilanstalt Warstein notwendig. Auch jetzt war sie wieder bewusstseinsklar und orientiert, aber zerfahren in ihren Gedankengängen. Die Sinnestäuschungen hielten an, ebenso die Wahnideen. So glaubte sie, Adolf Hitler werde sie heiraten, er hole sie demnächst in Warstein ab. Sie nannte sich fortan nicht mehr Marianne, sondern Hannelore. Marianne sei ein französischer Name und Adolf Hitler könne doch nur Deutsche heiraten."
Beschluss des Erbgesundheitsgerichts Arnsberg vom 14.7.1941
Zwischen den beiden Einweisungen nach Warstein schrieb Marianne eine Reihe von Briefen an verschiedene Behörden, immer mit der Bitte verbunden, man solle sich mit ihrer Situation befassen.
Der Lüdenscheider Amtsarzt Dr. K. schrieb daher im Juli 1942 an den Lüdenscheider Oberbürgermeister Schumacher einen Brief.
Dort hieß es:
"Hierdurch werden zahlreiche Behörden in Anspruch genommen. Marianne D. leidet an blühenden Wahnideen und handelt danach. Wegen ihres krankhaften Geisteszustandes ist eine sofortige Wiedereinlieferung in die Heil- und Pflegeanstalt Warstein erforderlich."
Mariannes Eltern wollten sie indes zu Hause versorgen. Dennoch gab der Oberbürgermeister der Ortspolizei in Lüdenscheid die Anweisung, daß Marianne in die Provinzialheilanstalt Warstein zwangsweise einzuweisen sei. Von Warstein aus wurde sie, aufgrund des oben zitierten Beschluss des Erbgesundheitsgerichts Arnsberg am 23.07.1942 zur Zwangssterilisation nach Paderborn gebracht.
Sie kehrte nach Warstein zurück und wurde in die Tötungsklinik nach Hadamar verlegt.
Am 15.09.1943 starb sie dort.
In der Regel bestand diese Tötung (ab 1941) aus Nahrungsentzug und einer Überdosis an Medikamenten oder aus der Vergasung in einem Kellerraum der Klink.
In der Todesurkunde ist, als "offizielle" Todesursache "Grippe" eingetragen.


(Quellen: Matthias Wagner: "Geschichte Lüdenscheids in der Zeit der Weltkriege, Demokratie und Diktatur 1914–1949", ISBN: 978-3-7395-1214-3, ebd. S. 301 // "Lüdenscheider Gedenkbuch für die Opfer von Verfolgung und Krieg der Nationalsozialisten 1933-1945", HG: Bündnis für Toleranz und Zivilcourage - gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, Friedensgruppe Lüdenscheid, 2. überarbeitete und ergänzte Auflage: Lüdenscheid, den 1. Sptember 2007 )

Exkurs - Die Tötungsverbrechen in der Landesheilanstalt Hadamar (1941–1945)

Die Landesheilanstalt Hadamar bei Limburg an der Lahn wurde zwischen 1941 und 1945 zu einem der zentralen Tatorte nationalsozialistischer „Euthanasie“-Verbrechen. In zwei systematischen Phasen wurden dort insgesamt rund 14.000 Menschen ermordet.

Phase 1: „Aktion T4“ (Januar bis August 1941)

Am 13. Januar 1941 begann in Hadamar die erste Phase der Tötungen im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“. Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen wurden als „lebensunwertes Leben“ eingestuft und gezielt ermordet.

Im Keller der Anstalt wurden eine Gaskammer und ein Krematorium eingerichtet. Zwischen Januar und August 1941 starben hier über 10.000 Menschen durch Vergasung mit Kohlenmonoxid. Die Leichen wurden verbrannt, Todesursachen in den Urkunden gefälscht.

Nach Protesten – unter anderem durch Bischof Clemens August Graf von Galen – stellte die NS-Führung die Aktion T4 offiziell am 24. August 1941 ein.

Phase 2: „Dezentrale Euthanasie“ (August 1942 bis März 1945)

Bereits im August 1942 wurde die Landesheilanstalt Hadamar erneut zur Tötungsanstalt. Die zweite Phase lief unter dem Decknamen „dezentrale Euthanasie“ (teils auch „Aktion Brandt“ genannt). Die Morde erfolgten nun durch Medikamentenüberdosierung, gezielte Unterernährung oder unterlassene medizinische Hilfe.

In dieser Zeit wurden rund 4.400 weitere Menschen durch das Klinikpersonal ermordet – meist im Verborgenen. Die Opfer wurden in Massengräbern auf dem anstaltseigenen Friedhof bestattet, oft unter falschem Namen und mit erfundenen Todesursachen wie „Darmgrippe“.

Befreiung und Aufarbeitung

Am 26. März 1945 wurde die Anstalt von US-amerikanischen Truppen befreit. Die vorgefundenen Dokumente, Grabfelder und Überlebenden führten zu ersten Gerichtsprozessen gegen das Personal. Der sogenannte „Hadamar-Prozess“ 1945/46 war einer der ersten alliierten NS-Prozesse nach dem Krieg.

Der Chefarzt Dr. Wahlmann wurde in zwei Prozessen (1945 und 1947) wegen Kriegsverbrechen und Anstiftung zum vielfachen Mord verurteilt. 1945 erhielt er eine lebenslange Haftstrafe, 1947 wurde zunächst die Todesstrafe verhängt, die nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland in lebenslange Haft umgewandelt wurde. 1953 wurde er begnadigt und aus der Haft entlassen.

Heute erinnert die Gedenkstätte Hadamar an die Opfer und dokumentiert die Hintergründe der Verbrechen.



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