Geschichte der Haftzellen

Mehrwert der Erinnerung für Lüdenscheid

Lückenhafte Übersicht über die politischen Häftlinge in den Polizeihaftzellen des Alten Rathauses in Lüdenscheid.

Von mehr als 1.000 Inhaftierungen aus politischen Gründen (vgl. Verwaltungsberichte) sind nur 356 namentlich identifizierbar. In den Wiedergutmachungsakten von 18 konnten konkrete Belege der Inhaftierung in den Polizeizellen des Alten Rathauses gefunden werden:

Herr B.: Heerscheider Landstr., 1934, 1935, 1944, Polizeihaft Lüdenscheid.
Frau K.: 1. Januar 1944, Schutzhaft in Lüdenscheid, Arbeitsbummelei
Ferdinand K.: 25. Juni 1936, Polizeihaft Lüdenscheid., SPD-Mitglied, Kritik an NSDAP
Hans K.: 25.4.1933, von Stadtverwaltung entlassen, Polizeihaft Lüdenscheid, Kommunist
Otto K.: Kluser Str., Polizeihaft Lüdenscheid., Arbeitgeber: Busch-Jaeger–Metallwerke
Wilhelm K.: 1.4.1933 und 1937, Polizeihaft Lüdenscheid, Redakteur der Neuen Freien Presse, SPD
Heinrich L.: 28.2.1933, Polizeihaft Lüdenscheid, Kommunist
Arthur M.: Corneliusstr., 28.2.1933 Polizeihaft Lüdenscheid, Kommunist
Eugen P.: 1.11.1944, Selbstmord in Haftzelle im Rathaus,Wehrkraftzersetzung
Selma P.: 30.5.1938, Polizeihaft Lüdenscheid, Bibelforscherin
Franz S.: 1934, Polizeihaft Lüdenscheid, Kommunist
Ludwig T.: November 1941, Polizeihaft Lüdenscheid, Beziehung zu polnischem Fräulein
Wilhelm V.: März 1937, Polizeihaft Lüdenscheid, Ausländischen Sender gehört
Erwin W.: 1.4.1933, 1935, Polizeihaft Lüdenscheid, Anklage wegen Hochverrat

Der bekannteste Häftling der Polizeihaftzellen war Erwin Welke, der 1935 als SPD-Mitglied wegen angeblichem Hochverrat zu fünf Jahren Zuchthaus, anschließend zur Schutzhaft unter Gestapo-Aufsicht und ab 1942 zur Bewährungseinheit 999 verurteilt wurde. Seit 1946 war er Mitglied des Rats der Stadt Lüdenscheid und von 1964 bis 1971 Oberbürgermeister. Wegen seiner großen Verdienste ernannte ihn der Rat der Stadt zum Ehrenbürger.

Hinzu kommen die Aussagen von Familie Gobas, die von den Verhaftungen in den Polizeizellen am 10. November 1938 und vom April 1942 im Jahr 1983 berichteten. Vgl. Erich Kann, Matthias Wagner: Jüdische Lüdenscheider und Lüdenscheiderinnen, 2. Aufl. 1994, S. 172, 192 u.a..

Namentlich bekannte jüdische Inhaftierte der Polizeizellen waren Hermann Behrend, Salomon Gobas und Oskar Cahn. Es müssen aber deutlich mehr jüdische Lüdenscheider gewesen sein, weil insgesamt 36 ermordet wurden und zusätzliche Inhaftierte und Deportierte in Lagern überlebten.

In der Wiedergutmachungsakte von Frau Antoinette Junghans steht (12.11.1956; Stadtarchiv Lüdenscheid B-41381):

"Anlässlich der Massenverhaftung von KPD-Anhängern in der Zeit vom 3. bis 5. Mai 1935 sah sich mein Ehemann erneut von einer Verhaftung bedroht und hielt sich bei Bekannten innerhalb Lüdenscheids verborgen. In der Nacht vom 6. auf den 7. Mai 1935 drangen 2 Gestapobeamte von Dortmund in unsere Wohnung, um meinen Mann zu suchen. Als sie ihn nicht fanden, wurde ich über seinen Aufenthalt befragt. Da die Befragung nicht zu dem gewünschten Erfolg führte, wurde ich von einem Gestapobeamten namens K. misshandelt und anschließend verhaftet und mit zum Rathaus genommen. Hier wurden mir zunächst Handschellen angelegt und man brachte mich in eine Zelle im Rathauskeller. Nach vielleicht 1 Stunde erschien K. in meiner Zelle und fragte mich, ob ich jetzt bereit sie, Aussagen darüber zu machen, wer sich in unserer Wohnung aufgehalten habe und wo mein Mann jetzt sei. Da ich erneut angab, nichts zu wissen, schlug er mit einer Reitpeitsche auf mich ein. Erst als ich ihm zurief, ich sei in Hoffnung, ließ er von mir ab."

Der Leiter der Gestapo Lüdenscheid und des Arbeitserziehungslagers Hunswinkel Karl Gertenbach nahm sich nach dem Krieg das Leben, indem er sich in einer Zelle des Rathauses erhängte, in die er vorher viele politische Gegner eingewiesen hatte; zu ihnen zählten Kommunisten und Juden, die in den Tod geschickt wurden. In seinem Schicksal spiegelt sich die Tragik der Verantwortlichen. - (Die meisten Wiedergutmachungsakten enthalten nur allgemeine Ortsangaben zur Inhaftierung.)

(Forschungsstand: Nov. 2007, Matthias Wagner)

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